Die Arbeit der Extremismusprävention wird zunehmend vor die Herausforderung gestellt, dass rechtsextreme Ideologien innerhalb von Familien, teilweise in dritter Generation, weitergegeben werden. Dies gilt sowohl für das Reichsbürgerspektrum als auch für einen großen Graubereich verschiedener antidemokratischer Strömungen, in die sich die extreme Rechte heute aufgliedert. Erzieherinnen und Erzieher, Lehrkräfte sowie weitere pädagogische Fachkräfte, die Kinder aus solchen Familien betreuen, sind mit vielfältigen Fragen und Problemen konfrontiert. Zunehmend kommt es zu Schwierigkeiten in Kindertagesstätten, Schulen oder Sozialen Diensten. Wenn beispielsweise im Unterricht demokratiefeindliche Einstellungen von Kindern sichtbar werden, müssen diese von pädagogischen Fachkräften eingeordnet werden. Aber es gibt auch diskriminierende Äußerungen unter Kindern, bei denen klar wird, dass sich die Ideologie des Elternhauses zeigt, oder gar Bedrohungssituationen von Angehörigen extrem-rechter Szenen gegenüber dem Lehrpersonal. Der Umgang mit den von ihnen betreuten Kindern und Jugendlichen oder deren Eltern stellt Fachkräfte vor belastende Herausforderungen: Wie kann man handeln, ohne zu eskalieren? Wie kann man professionell mit Personen interagieren, die menschenfeindliche Ideologien vertreten, und dabei demokratische Werte wahren? Wie kann man das Kindeswohl in einem ideologisierten Umfeld effektiv schützen? Wie kommt man an gebündelte Informationen zu extrem rechten Lebenswelten?
Ziel des Fachtags war es, genau diese pädagogischen Fachkräfte zu erreichen, zu stärken, die Vernetzung mit Fachstellen der Extremismusprävention voranzutreiben und Handlungskompetenzen zu vermitteln.
Leon A. Brandt, Rechts- und Kulturwissenschaftler am SOCLES International Centre for Socio-Legal Studies gGmbH, näherte sich mit seiner Keynote „Rechtspopulistische & rechtsextreme Familien im demokratischen Staat: Mit gebotenem Respekt in konfliktbehaftetem Kontakt“ dem Thema Kindeswohlgefährdung in rechtsextremen Familien aus rechtlicher und wissenschaftlicher Perspektive.
Nach einer ersten Bestandsaufnahme über Akteurinnen und Akteure rechtsextremer Ideologien und deren Anknüpfungspunkte in die Mitte der Gesellschaft, zeigte Brandt die Grenzen des elterlichen Erziehungsgrundrechts auf. Auch wenn die Ideologie selbst keine Kindeswohlgefährdung darstelle, könne ideologisiertes Verhalten das Wohlergehen des Kindes beeinträchtigen und gefährden, zum Beispiel, wenn medizinische Hilfe verwehrt würde „um das Kind abzuhärten“. Auch die Grundrechte Dritter müssten mitgedacht werden; das Elterngrundrecht ende dort, wo die Rechte anderer verletzt würden. Letztendlich sei es stets ein Abwägen im Einzelfall.
Schulen hätten das Potenzial, mit ihrem gleichrangigen Erziehungs- und Bildungsauftrag sowie der verfassungsrechtlich gerechtfertigten Schulpflicht, eigene Erziehungsziele zu verfolgen und somit alternative Lebensmodelle zum elterlichen Haushalt aufzuzeigen. Neben der Förderung von Pluralität, Empathie, Toleranz und Achtung, könne Schule sachliche, konkrete Kritik äußern und Wahlmöglichkeiten für junge Menschen eröffnen. Zur Förderung der Persönlichkeitsentwicklung und des Sozialverhaltens von Schülerinnen und Schülern sei es dann auch geboten, Präventions- und Distanzierungsarbeit im schulischen Kontext zur Umsetzung eigener Bildungsziele einzusetzen, allerdings unter Berücksichtigung des Elterngrundrechts.
Neben der Schule biete auch der Bereich der Kinder- und Jugendhilfe Anknüpfungspunkte in der Präventionsarbeit, auch wenn kein direkter verfassungsrechtlicher Erziehungsauftrag oder eine Teilnahmepflicht, wie in der Schule, vorliege. Durch die sozialpädagogische Beziehungsarbeit in diesem Feld könnten sich neue Möglichkeitsräume eröffnen, um mit rechtsextremen Familien in Kontakt zu kommen – stets mit Blick auf Auftrag und Gewährleistung des Kindeswohls.
Im Anschluss an die Keynote folgte eine Expertendiskussion. Leon A. Brandt und Jelena Wachowski vom Fachreferat Recht der Arbeitsgemeinschaft Kinder- und Jugendschutz (AJS) Nordrhein-Westfalen e. V. tauschten sich zu Präventions- und Interventionsmaßnahmen im Umgang mit Kindern und Jugendlichen aus rechtsextremen Familien aus. In der Diskussion betonten sie die besonderen Herausforderungen, Kinder und Jugendliche aus rechtsextremen Familien zu erreichen, ohne sie zu stigmatisieren, das Kindeswohl zu gefährden oder die Betroffenenperspektive zu vernachlässigen.
Zentrale Präventionsmaßnahmen umfassten frühzeitige Bildung über demokratische Werte, die Stärkung sozial-emotionaler Kompetenzen sowie die Förderung von Vielfalt und Toleranz im schulischen und außerschulischen Bereich. Im Bereich der Intervention wurde auf die Bedeutung einer engen Zusammenarbeit zwischen Schule, Jugendhilfe, Polizei, Justiz und spezialisierten Beratungsstellen hingewiesen. Fachkräfte müssten rechtzeitig sensibilisiert und geschult werden, um Radikalisierungstendenzen erkennen und angemessen reagieren zu können. Bei strafrechtlich relevantem Verhalten sei abzuwägen, welche Konsequenzen pädagogisch sinnvoll und notwendig sind. Neben klaren juristischen Grenzen (z. B. Anzeigen) könnten begleitende pädagogische Maßnahmen zur Auseinandersetzung mit der Tat angewendet werden. Ziel sollte nicht allein Bestrafung sein, sondern eine langfristige Entwicklung demokratischer Werte und Haltungen. Geeignet könnten zum Beispiel Gespräche, Aufklärungsprojekte oder externe Angebote sein. Zudem wurde hervorgehoben, dass der Schutz potenzieller Opfer oberste Priorität habe.
Gleichzeitig müssten Fachkräfte vor Einschüchterung, Bedrohung oder Anfeindungen geschützt werden. Dafür seien dienstliche Rückendeckung, Supervision, klare Handlungsleitlinien und ggf. sicherheitsrelevante Maßnahmen entscheidend. Eine gelingende Intervention setze professionelle Begleitung, Vernetzung und langfristige Unterstützung voraus.
Der zweite Teil des Fachtags diente dem aktuellen Praxisbezug durch ein vielfältiges Workshop-Programm für die Präventions- und Interventionsarbeit in den verschiedenen Arbeitssettings. Neben der Fachstelle Rechtsextremismus und Familie vom Lidicehaus, brachten auch Leon A. Brandt, die Mobile Beratung gegen Rechtsextremismus Rheinland-Pfalz, die Ausstiegs- und Distanzierungsberatung (R)AUSwege/Rückwege sowie die Angehörigenberatung bei demokratiefeindlichen Einstellungen Fallbeispiele aus der Praxis sowie ihre Expertise ein. Es wurden mögliche Handlungsstrategien im Umgang mit rechtsextremen Eltern und deren Kindern erarbeitet und anschließend im Plenum vorgestellt.