Die diesjährige digitale Themenwoche nimmt unter dem Titel „Extremismus 2.0 - Alte Bekannte und neue Gesichter“ verschiedene aktuelle Phänomene in den Blick, die in ihrem Kern Demokratiefeindlichkeit und Abwertungsnarrative gemeinsam haben.
Wie wirken diese unterschiedlichen Phänomene jedoch genau und was macht ihre Problematik für eine demokratische Gesellschaft konkret aus? Die Grenze zwischen systemkritischen Haltungen und radikalen, mitunter gewaltbefürwortenden, Einstellungen verschwimmt zunehmend. Extreme Sichtweisen scheinen mittlerweile in der gesellschaftlichen Mitte salonfähig, zumindest jedoch unaufgeregt hingenommen zu werden. Gleichzeitig ist festzustellen, dass sich in diesem Umfeld ein harter Kern immer weiter gesellschaftlich distanziert und immer extremere Positionen einnimmt, bis hin zur offenen Gewaltbereitschaft.
Gerade die auffällige emotionale Anschlussfähigkeit dieser extremen Sichtweisen machen sie so nachhaltig besorgniserregend. Was macht diese Sichtweisen aus, die nicht nur einen kleinen Kreis erreichen, sondern die breite Masse zu begeistern scheinen? Wie werden „Eintagsfliegen“ zu „Dauerbrennern“, die auch in Zukunft eine problematische Relevanz für diese demokratische Gesellschaft aufrechterhalten können? Altbekannte Phänomene, wie z.B. aus dem rechten und ultranationalistischen Spektrum, sind hierbei ebenso präsent, wie „aufpolierte Updates“ von ihnen oder gänzlich neue Gesichter. Zeitgleich verlagern sich Kommunikation und Interaktion verstärkt in den digitalen Raum, Transnationalität und Intersektionalität nehmen zu. Diese Entwicklungen sind, gerade auch im Hinblick auf mögliche Gegenstrategien und Handlungsoptionen von Fachkräften und Zivilgesellschaft, interessant und sollen im Rahmen der Themenwoche in den Blick genommen werden.
Alle Veranstaltungen der digitalen Themenwoche sind kostenfrei und richten sich an interessierte Fachkräfte aus der Kinder- und Jugendhilfe, politischen Bildung, Demokratieförderung sowie Extremismusprävention.
Übersicht Digitale Themenwoche „Extremismus 2.0 – Alte Bekannte, neue Gesichter“ Referierende und Themen
16.05.2022
13:00 – 15:00 Frau Prof. Dr. Birsl
Vortrag: "Querdenken-Bewegung" Neue Allianzen, bekannte Phänomene?
Krisen und außergewöhnliche Ereignisse befeuern Verschwörungsmythen.
So auch die Covid-19-Pandemie und die politischen Gegenmaßnahmen. In Deutschland aber auch Österreich und der Schweiz hat sich mit der sog. Querdenken-Bewegung ein Netzwerk entwickelt, das in unterschiedliche Milieus hinein wirkt: in esoterische, mittelschichtsorientierte Milieus bis hin zu Akteur:innen und Milieus der extremen Rechten, zu Reichsbürger:innen oder sog. Selbstverwalter:innen. Dieses Netzwerk verfügt nicht über eine gemeinsam geteilte Ideologie. Verbindend sind Verschwörungsmythen und Bedrohungsszenarien. So sind Allianzen zwischen Akteur:innen und Milieus entstanden, die sich politisch nicht nahe stehen. Hat die Pandemie damit ein neues Phänomen hervorgebracht, oder haben wir es mit dem bekannten und bislang wenig beachteten "Extremismus der Mitte" zu tun?
17.05.2022
10:00 – 12:00 Herr Joachim Schulte (QueerNet RLP)
Vortrag: Queerfeindlichkeit als populistische Strategie
Queerfeindlichkeit, die Ablehnung von Schwulen, Lesben, Bisexuellen, Transidenten, intergeschlechtlichen und non-binären Menschen hat eine lange Tradition durch Abwertung, Ausgrenzung und Gewalterfahrung. Gleichzeitig hat sich in den letzten Jahrzehnten die offene Ablehnung zurückgezogen und ist (skeptischer) Gleichgültigkeit gewichen. Dass in Zeiten der Polarisierung alte Muster wieder hervorkommen wundert nicht, aus welcher Ecke sie kommen schon.
Der Workshop will an 3 Themenfeldern beispielhaft „das Neue“ der Diskriminierung erörtern: am Beispiel von Transfeindlichkeit, am Beispiel von Schwulen resp. Lesbenfeindlichkeit und am Beispiel der Berücksichtigung der Vielfalt der Geschlechter im mündlichen und schriftlichen Ausdruck.
17.05.2022
14:00 – 16:30 Frau Nava Zarabian
Vortrag: Popkultur und Deutschrap als Chance für politische Bildung?
Unser Konsum von Popkultur hat sich nicht zuletzt durch die sozialen Medien stark verändert. In diesem Angebot sprechen wir über das Zusammenspiel gesamtgesellschaftlich relevanter Themen und popkulturelle Phänomene wie z.B. Deutschrap. Sind Antisemitismus,- Sexismus Vorwürfe und die Angst vor Verrohung junger Menschen wirklich alles was das Genre zu bieten hat? Welche Fallstricke können lauern, wenn Rassismus nicht erkannt wird und Extremisten Popkultur für sich nutzen? An Beispielen aus den vergangen Jahren möchten wir auf das Thema blicken und über die Chancen für politische Bildung sprechen.
18.05.2022
14:00 – 16:00 Herr Eren Güvercin
Vortrag: Die Grauen Wölfe - Türkischer Rechtsextremismus in Deutschland
Der türkische Nationalismus ist kein neues Phänomen unter Türkeistämmigen in Deutschland, er ist aber in den letzten Jahren sichtbarer geworden. Der Einfluss türkischer (Außen-)Politk auf die in Deutschland lebenden Menschen mit türkeistämmigen Migrationshintergrund sowie die Reichweite einiger Akteur*innen in den sozialen Medien sorgen dafür, dass sich ein neuer türkischer Nationalismus bei türkeistämmigen Jugendlichen verbreitet. Im Vortrag sollen neben einem Einblick in die historische Entwicklung des türkischen Nationalismus vor allem die aktuellen Entwicklungen und Narrative in Deutschland und der Umgang mit diesem Problem im Fokus stehen.
19.05.2022
14:00 – 16:00 Frau Marina Weisband
Vortrag: Stochastischer Terrorismus: wie aus Wahrscheinlichkeit Gewalt wird
Moderne Terrorgruppen haben nicht mehr so sehr Mitglieder, wie sie Hashtags, Follower und Abonnenten haben. Wer Gewalt anzetteln will, muss sie nicht mehr befehlen. Man muss nur genug Menschen radikalisieren, bis irgendwann, irgendwo einer ausrastet. Niemand weiß, wann und wo - aber dass es passiert, grenzt dann an Sicherheit. Marina Weisband zeigt auf, wie solche modernen Terrornetzwerke funktionieren, welche Mechanismen sie zur Radikalisierung verwenden und wie Pädagog*innen Anzeichen dessen besonders bei jungen Menschen erkennen können. Vor allem aber: was dagegen hilft.
20.05.2022
14:00 – 16:00 Herr Sindyan Qasem
Vortrag: „Politischer Islam“ – eine Kategorie und ihre Konsequenzen
Seit einigen Jahren erleben wir eine massive Ausweitung von sogenannten Präventionsmaßnahmen gegen Islamismus. In Schulen, Moscheen, Ämtern und anderen Sozialräumen sind wir ständig auf der Suche nach Anzeichen von Radikalisierung. Im Zuge dessen fand auch die Bezeichnung "politischer Islam" wieder Eingang in die Debatten rund um die postulierte (Un-)vereinbarkeit von muslimischer Religiosität mit unserer Art zu leben. Im Vortrag spüren wir den verschiedenen Verwendungen des Begriffs "politischer Islam" nach und betrachten die ideologischen Konfigurationen, die die Verwendung hervorbringt. Wer ist mit "politischer Islam" gemeint? Wem und was wird der "politische Islam"gegenübergestellt?
arum und mit welcher Funktion wird der Begriff verwendet? Was geschieht, sobald die Kategorie verwendet wird? Vor allem bei der Beantwortung der letzten Frage stehen dann auch die gravierenden repressiven Folgen der Debatten und Maßnahmen rund um den "politischen Islam" im Fokus.